Softwarepatente sind wieder ein Thema. Nachdem die EU-Richtlinie über die sogenannten „computer-implementierten Erfindungen“ im vorvergangenen Jahr durch das Europaparlament entschieden abgelehnt wurde, wird derzeit versucht, Softwarepatentierung mit Hilfe einer Änderung der zuständigen Gerichtsbarkeit für zulässig zu erklären.
Softwarepatente in Europa – Worum geht es?
Seit Mitte der 80er Jahre wurden in Europa mehrere zehntausend Patente auf softwarebasierte Lösungen in der Datenverarbeitung, der Automation und für Geschäftsmethoden erteilt, deren Legitimität umstritten ist. Obwohl das europäische Patentübereinkommen (EPÜ) die Patentierung von Programmen für die Datenverarbeitung, Geschäftsmethoden und die Wiedergabe von Informationen ausschließt, öffnete die einseitige Auslegung einer zusätzlichen, unklar gefassten Bestimmung durch das Europäische Patentamt (EPA) ein formales Schlupfloch für die Erteilung dieser Patente. Die Rechtsbeständigkeit dieser Patente vor Gericht ist unsicher, Versuche der rechtlichen Durchsetzung erfolgten daher bis heute kaum.
Patentiert wurden dabei überwiegend grundlegende und triviale Programmfunktionen, so dass bereits heute fast jede Software mit Patenten in Konflikt steht. Diese Patente konzentrieren sich in den Händen von überwiegend nichteuropäischen Großunternehmen.
Aufgrund der derzeitigen Rechtslage sind Softwarepatente in den Mitgliedsstaaten der EU aber bisher nur sehr unsicher einklagbar. Die Patentinhaber drängen daher auf neue rechtliche Regelungen, um größeren Nutzen aus ihren Patenten ziehen zu können.
Gefahren von Softwarepatenten für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU)
Sollten Softwarepatente rechtlich durchsetzbar werden, hätte dies gravierende negative Folgen für die mittelständische Wirtschaft und den Wirtschaftsstandort Europa:
- Verlust von Verwertungsrechten
Patente im Softwarebereich entwerten die Verwertungsrechte der Entwickler, die sich aus dem Urheberrecht ergeben. Sie bringen die Urheber um den Ertrag ihrer Leistungen. - Unkalkulierbare Haftungsrisken
Neben Lizenzkosten kann ein Patentinhaber u.a. Unterlassung und Schadensersatz fordern.Angesichts der enormen Haftungs- und Kostenrisiken bei Patentverletzungen und Patentnichtigkeitsklagen können Softwarepatente eine existentielle Bedrohung besonders für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) darstellen. - Persönliche Haftung auch für Geschäftsführer
Bei Schutzrechtsverletzungen können auch Geschäftsführer persönlich in unbegrenzter Höhe haftbar gemacht werden, wenn ihnen die Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflichten, z.B. versäumte Patentrecherche, nachgewiesen werden kann. - Arbeitsmarkt und Innovation
Da die europäische Softwarebranche besonders durch innovative kleine und mittlere Unternehmen geprägt ist, wären die negativen Folgen einer Monopolisierung der Branche für Arbeitsmarkt und Innovation deutlich spürbar. Für Endanwender könnte dies weniger Auswahl an Software und geringere Qualität bedeuten. - Höhere Kosten von Software
Patentinhaber könnten Entwickler durch die Forderung von Lizenzkosten für die angebliche Verwendung ihrer „Erfindungen“ zur Ader lassen. Diese Kosten würden sich als höhere Preise für Endanwender niederschlagen.
EPLA – Legitimierung von Softwarepatenten durch die Hintertür
Der Entwurf des Patentstreitregelungssystems EPLA (European Patent Litigation Agreement), ausgearbeitet von der Europäischen Patentorganisation (EPO) als der Mutterorganisation des Europäischen EPA, ist umstritten. Die Befürworter des EPLA nennen als Hauptargumente die angestrebte Vereinfachung des Gerichtswesens und die Einheitlichkeit der Gesetzesauslegung. Gegner und Kritiker, zu denen auch weite Teile des Europaparlaments zählen, sehen allerdings zahlreiche Mängel und Gefahren im aktuellen Entwurf:
Die enge personelle Verzahnung des vorgeschlagenen EPLA-Patentgerichts mit der Europäischen Patentorganisation widerspricht Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Richter.
- Die enge personelle Verzahnung des vorgeschlagenen EPLA-Patentgerichts mit der Europäischen Patentorganisation widerspricht Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Richter.
- Ein mit der EPO verzahntes Patentgericht würde zur Legitimierung der Erteilungs- und Spruchpraxis des Europäischen Patentamts und damit zehntausender unerwünschter Trivial- und Softwarepatente durch Fallrecht führen.
- Die Kosten der meisten Rechtsstreitigkeiten würden erhöht.
- Durch das EPLA würde eine höchstinstanzliche europäische Gerichtsbarkeit für Patent¬auseinandersetzungen außerhalb des Rechtsrahmens der EU eingerichtet werden. Die EU gäbe dadurch entscheidende Kompetenzen unwiderruflich aus der Hand.
- In den USA führte genau die Kombination von fehlender Strenge bei den Patentierungskriterien und einer zentralen Patentgerichtsbarkeit zur wirtschaftsschädigenden Ausuferung des US-Patentwesens.
Die Position der deutschen Bundesregierung zum EPLA
Die Bundesregierung hatte sich unter der Federführung des Bundesjustizministeriums (BMJ) das Ziel gesetzt, während der deutschen Ratspräsidentschaft eine hinreichende Unterstützung für das EPLA unter den EU-Mitgliedsländern zu gewinnen, ist aber hierin gescheitert. Ein Kompromissvorschlag der Europäischen Kommission erschwert seit Anfang April zusätzlich die Überzeugungsarbeit des BMJ für das EPLA: der noch sehr skizzenhafte Entwurf der Kommission propagiert die Verankerung des diskutierten europäischen Patentzentralgerichts in den Rechtsrahmen der EU. Sie kommt damit den Mitgliedsländern entgegen, die Vorbehalte gegen ein außergemeinschaftliches Szenario und gegen die institutionelle Nähe des EPLA- Patengerichts zum EPA haben. Doch auch dieser Vorschlag konnte bis jetzt nicht den notwendigen Rückhalt im Ministerrat finden, sodass beide Vorhaben unter einem ungünstigen Stern zu stehen scheinen.
Engagement gegen Softwarepatentierung
Auch wenn die politischen Bemühungen um ein zentrales Patentgericht in eine Sackgasse gelangt sind, wird die Diskussion fortgeführt werden. Auch erteilt das EPA weiter Softwarepatente. Die Inhaber dieser Patente proklamieren die Erteilungspraxis des EPA als „Status Quo“ und bezeichnen dies als „geltende Rechtslage“. Man kann daher davon ausgehen, dass die Bemühungen, die umstrittenen Patente nachträglich rechtlich zu unumstößlich legitimieren, fortgesetzt werden.
Die Unternehmerinitiative patentfrei.de konkretisiert die Maßnahmen, die notwendig sind, um die Rechtsunsicherheit durch Softwarepatente für kleine und mittelständische Unternehmen zu beseitigen, in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin wie folgt:
1. Verzicht auf das EPLA, ein Höchstgericht muss in den EU-Rechtsrahmen eingebettet sein
2. keine Beschäftigten der EPO in europäischen Rechtsprechungsorganen
3. Änderung der Prüfungsrichtlinien und unabhängige Kontrolle des EPA
4. Schaffung einer europaweiten Regelung, die Softwarepatente unmissverständlich untersagt