Bringt die Selbständigkeit den mühelosen Reichtum? Klare Antwort: Nein. In fast keinem Bereich erzielen Selbständige und Freiberufler überdurchschnittliche Einkommen. Von den berühmten wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Geldmenge, die Selbständige am Ende des Monats behalten dürfen, nicht gerade berauschend.
In meiner Eigenschaft als Controller habe ich in der Angelegenheit ausführlich ermittelt. Da zum Thema Einkommen von Selbständigen sehr mageres Datenmaterial zur Verfügung steht, bin ich in meinem ausgedehnten Umkreis herumgegangen, habe bei ungefähr 50 Freiberuflern Zahlen eingesehen und diese in Tabellen aufbereitet. Die Zusammenfassung finden Sie in der nachstehenden Tabelle.
Wenig aussagekräftige Statistiken
Die wenigen öffentlichen Statistiken, die es gibt, sind meiner Meinung nach nicht aussagefähig, da hier auch all die tausende von Nebentätigkeiten erfasst sind, all die kleinen ebay-Shops, die Fachspezialisten, die gelegentlich Seminare abhalten, der Handwerker, der am Wochenende ein paar Euro dazu verdient. Mich hat interessiert, wie die Vollzeit-Selbständigen finanziell dastehen.
In meiner Tätigkeit bekomme ich sehr viele Einsichten in Daten, Zahlen und Zusammenhänge, die nicht für jedermann bestimmt sind. Daher weiß ich, dass bei sehr vielen Freiberuflern schon seit 20 Jahren kein Vermögen übrig bleibt, sogar bei denen, die relativ bekannt / prominent sind. Ein Grund sind Steuern und andere Abgaben, über die viel gemosert wird, obwohl sie insgesamt in Deutschland recht niedrig sind, verglichen mit dem, was wir vom Staat dafür erhalten. (Reisen Sie nach Kuba, wo die Geschäfte 56% Steuern abgeben und überprüfen Sie den Zustand von Gebäuden und Infrastruktur.)
Im mittleren Einkommenssegment, also bei Gewinnen um und bei 50.000 Euro, sind ca. 35-45% des Gewinns weg, für Steuern und überlebensnotwendige Vorsorge. Bei deutlich höheren Einkommen geht mehr für Steuern weg und ggf. prozentual etwas weniger für Vorsorge.
Zusammenfassend: Als Freiberufler hat man am Ende aller Abgaben und notwendiger Vorsorge ca. 10-30% weniger übrig als in einer Festanstellung mit einer vergleichbaren Tätigkeit. Das liegt vor allem daran, dass ein größerer Teil der Zeit nicht an Kunden verkauft werden kann, weil man diese Zeit benötigt, um Kunden zu finden (besser: dafür zu sorgen, von ihnen gefunden zu werden) und um sich selbst zu verwalten. Diese Tätigkeiten werden in einem größeren Unternehmen von anderen Abteilungen übernommen. Das kostet zwar auch, ist aber durch Arbeitsteilung und Spezialisierung häufig wirtschaftlicher.Rein theoretisch besteht die Chance, auch deutlich höhere Einkommen zu erzielen, da man ja sein eigener Chef ist, allerdings vergessen manche, dass man auch Kunden braucht, die das Einkommen bezahlen.
Vorteile der Selbstständigkeit
Die meisten Selbständigen wählen ihre Stellung auch nicht wegen des Einkommens, sondern wegen der Freiheit. Freie Zeiteinteilung (sofern die Organisation des Kunden nichts anderes zwingend vorgibt), die Freiheit, Aufträge abzulehnen und nach eigenem Zeitrahmen Urlaub zu machen (wenn noch Knete da ist).
Mancher argumentiert, eine Festanstellung sei „sicherer“. Auf den heutigen Märkten mit beweglichen großen Treibsandflächen, wo heute ganze Branchen verschwinden und morgen neue entstehen, ist das wohl kaum der Fall. Ich behaupte sogar, dass der Selbständige auf Dauer sicherer lebt – wenn der Angestellte seinen Job verliert, fällt er aus allen Wolken und weiß nicht, was er tun soll. Wenn mir als Selbständiger ein Auftrag wegfällt, besorge ich mir einen neuen, weil ich inzwischen so geübt in der Selbstvermarktung bin, dass Auftragsgewinnung kein echtes Problem mehr ist.
Hier meine tabellarische Analyse. Ich rechne vom Umsatz über den Rohertrag (Deckungsbeitrag 1) zum Gewinn, über Steuern und Vorsorgeaufwand zum letztendlich verfügbaren, effektiven Stundensatz, das, was am Ultimo auf der Kralle bleibt. Die geschätzten 2.400 Arbeitsstunden im Jahr sind natürlich nicht alles Stunden, die der Kunde bezahlt, sondern auch Zeiten für Auftragsgewinnung, Vor- und Nachbereitung, Schreiben von Angeboten, Erstellen von Unterlagen, eigene Verwaltung, usw. Dies wird auch gern unterschätzt.
In der IT scheint die Zusammenarbeit zwischen Freiberuflern und Providern / Projektagenturen inzwischen so gut eingespielt zu sein, dass der IT-Freiberufler recht nahtlos von einem Projekt zu anderen wechseln kann. Im kaufmännischen Bereich ist dies überhaupt nicht so.
Vielseitige Aufwände für Freiberufler
Direkte Kosten sind Kosten, die direkt zu einem Auftrag gehören. Beim Interimsmanager und Unternehmensberater sind dies vor allem auftragsspezifische Reisekosten, beim Anwalt mandantenspezifische Materialien, Texte oder extern eingekauftes Know-how. Gemeinkosten sind Kosten, die eben nicht zu einem einzelnen Auftrag gehören, wie Büromiete, Telefon-Flatrate, Kfz-Kosten usw.
Beim Dozenten ist der Vorsorgeaufwand zum Teil zwingend, da Dozenten zwangsweise der staatlichen Rentenversicherung unterliegen. Wer allerdings gar nicht vorsorgt, kann dann mit 65 zu den Inuit gehen und sich in den Schneesturm setzen. Erfrieren dauert in der Gegend nur wenige Stunden, und es ist einfach herrlich zum Langlaufen… also ein guter Plan statt langweilige Kapitaloptionen einer privaten Rentenversicherung.
Die Schätzungen für die Einkommensteuer beruhen auf der Grundtabelle, also Ledige, für 2010. Die präzise Steuerlast sollte ein Steuerberater ermitteln, da sie von zahlreichen Faktoren abhängt. Im einzelnen Fall kann die tatsächliche Einkommensteuer sehr stark von den Prozentsätzen in dieser Tabelle abweichen.
Fazit: Wenn Sie selbständig sein wollen, tun Sie es nicht wegen des Geldes. Tun Sie es, wenn Sie die Freiheit (mit notwendigen Anpassungen und Regeln) haben wollen, zu tun, was Sie lieben.