Die Problematik der Scheinselbständigkeit ist für IT-Freiberufler und deren Auftraggeber seit längerem wieder hoch aktuell. Es geht um die Frage, ob zwischen dem Freiberufler und seinem Auftraggeber ein freies Mitarbeiterverhältnis oder eine abhängige Beschäftigung besteht.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB) versucht hier seit langem – mit teilweise abstrusen Argumenten – aus freien Mitarbeitern Arbeitnehmer und aus Auftraggebern Arbeitgeber zu machen. Damit ist die DRB jetzt in einem von mir geführten Verfahren vor dem Sozialgericht Wiesbaden gescheitert.
Fortsetzung Teil 1: Sozialgericht beurteilt Freiberufler als Selbständigen
Die Gesamtbewertung des Sozialgerichts Wiesbaden gibt dem streitbaren Freiberufler recht: Seine zwischen ihm und den Rentenversicherern umstrittene Tätigkeit sei als selbständige Tätigkeit anzusehen.
Die Gründe
Einer selbständigen Tätigkeit stehe nicht entgegen, dass der Freiberufler unter anderem Aufgaben koordinieren und dazu notwendigerweise mit den Projektleitern und mit den verschiedenen Mitarbeitern des Projektteams eng zusammenarbeiten müsse, so das Gericht. Die Ausgestaltung des Dienstleistungsvertrags zeigt, dass er hinsichtlich seiner Arbeitszeit, seines Arbeitsortes und der Frage, wie er seine Tätigkeit ausübt, frei ist und keinen Weisungen unterliegt. Darüber hinaus kann er für seine Tätigkeit eigene Mitarbeiter einsetzen und muss auch nicht zwingend selbst tätig werden. Im Vertrag heißt weiterhin, dass der Freiberufler nicht in den Betriebsablauf seines Auftraggebers eingebunden ist.
Zwar heißt es im Vertrag auch, dass die Leistungserbringung durch den Freiberufler in enger und ständiger Abstimmung mit den Projektleitern des Auftraggebers und dem restlichen Projektteam erfolgt und dass die zum Zwecke der näheren Spezifizierung der vom Freiberufler geschuldeten Leistungen erforderlichen Weisungsrechte dem Auftraggeber zustehen. Diese Weisungsrechte sind aber ausdrücklich auf die Spezifizierung der vom Freiberufler zu erbringenden Leistungen beschränkt und konkretisieren damit die Verpflichtungen des Freiberuflers aus dem aus dem abgeschlossenen Vertrag.
Inhaltliche Vorgaben, wie der Freiberufler diesen Vertrag zu erfüllen hat, werden dadurch jedoch nicht ermöglicht, so dass die dort genannten Weisungsrechte nicht als arbeitsrechtliche Weisungsrechte zu verstehen sind.
Auch die Verpflichtung des Freiberuflers zur engen Abstimmung mit dem Projektleitern und den übrigen Projektmitarbeitern folgt aus der Aufgabenstellung des Freiberuflers, der verpflichtet ist, den Erfolg des Projekts zu fördern und dazu die Projektmitarbeiter koordinieren muss, und stellt keine Einbindung in einen fremden Betrieb dar, sondern ist ausschließlich der Aufgabenstellung geschuldet.
Nach Auffassung des Gerichts liegen damit insgesamt die vom Gesetz ausdrücklich aufgestellten Anhaltspunkte für eine Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, das heißt, dass die Tätigkeit nach Weisungen erfolgt und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers gegeben ist, nicht vor.
Auch die übrigen Merkmale, die zur Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einer Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses herangezogen werden können, sprechen dafür, dass die Tätigkeit, die der Freiberufler für den Auftraggeber ausübt, eine selbständige Tätigkeit darstellt. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Freiberufler für mehrere Auftraggeber tätig ist und dass er für seine Tätigkeit auch einen eigenen Computer einsetzt.
Der Freiberufler bietet seine Dienste verschiedenen Kunden an, mit denen er jeweils zeitlich befristete Verträge abschließt. Er trägt damit ein unternehmerisches Risiko, nämlich dass seine Dienste nicht ausreichend nachgefragt werden. Er nutzt einen eigenen Computer, um auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, Funktionen und Programme zu testen und sich fortzubilden. Er erbringt zwar seine Dienstleistungen nicht gleichzeitig für mehrere Kunden, sondern ist für verschiedene Kunden nacheinander tätig, so dass er für die Vertragslaufzeit seinen gesamten Verdienst jeweils nur von einem Kunden bezieht. Dadurch, dass er für verschiedene Kunden nacheinander tätig wird, ist er jedoch auch nicht von einem Kunden wirtschaftlich abhängig.
Nach Ansicht des Sozialgerichts übt der Freiberufler damit seine Tätigkeit als Berater für seinen Auftraggeber insgesamt nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses aus, sondern als Selbständiger.
Quintessenz: reale Chance gegenüber der DRB
Das vorliegende und inzwischen auch rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden ist für Freiberufler höchst erfreulich. Es zeigt, dass die DRB mit ihrer verschrobenen Argumentation die Richter ganz offensichtlich nicht überzeugen konnte.
Es zeigt auch, dass Gerichte in der Auslegung von Verträgen zu gänzlich anderen Ergebnissen gelangen können und die individuellen, extrem ergebnisorientierten Ansichten der DRB bei weitem nicht das Maß aller Dinge sind. Schließlich zeigt das Urteil ferner, dass Selbständige und deren Auftraggeber eine reale Chance haben, sich gegen die Forderungen der DRB zu wehren.
Empfehlungen
Dieser Fall legt typische Fehler offen, die Selbständige und deren Auftraggeber möglichst vermeiden sollten. Zum einen halte ich die freiwillige Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens grundsätzlich für falsch. Dem einzig positiven Aspekt, damit Sicherheit über das Mitarbeiterverhältnis zwischen Freiberufler und Auftraggeber zu erlangen, stehen eine Vielzahl möglicher negativer Folgen gegenüber: Die Verfahrensdauer ist häufig sehr lang. Ich führe beziehungsweise begleite Verfahren, in denen das der Statusfeststellung zugrunde liegende Projekt längst abgeschlossen ist, ohne dass auch nur eine Entscheidung der DRB vorliegt, geschweige denn das Verfahren abgeschlossen ist.
Kommt es zum Verfahren vor dem Sozialgericht, sehen die Verfahrensdauern noch ganz anders aus. So lagen im oben geschilderten Fall zwischen der Antragstellung und der Entscheidung des Sozialgerichts 4 (in Worten: vier) Jahre. Und wäre die DRB in die Berufung gegangen, hätte das Verfahren auch noch weitere 1 bis 2 Jahre dauern können.
Im Übrigen gibt ein Statusfeststellungsverfahren bestenfalls Sicherheit für das laufende Vertragsverhältnis, also letztlich nur für die Vergangenheit, denn niemand kann in die Zukunft blicken und deren Entwicklung vorhersehen. Das heißt im Klartext: Das Statusfeststellungsverfahren suggeriert nur eine Scheinsicherheit.
Schließlich muss beachtet werden, dass die Ansprüche der DRB nach vier Jahren verjähren. Die Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens hemmt diese Verjährung jedoch, die Verjährung ist quasi ausgesetzt und läuft nicht weiter. Somit könnte die DRB in einem solchen Fall beispielsweise nach Abschluss eines dem Statusfeststellungsverfahren anschließenden Sozialgerichtsverfahrens auch noch für Jahre Beiträge verlangen, die eigentlich längst verjährt wären.
Damit bleibt kaum noch ein wirklich gutes Argument für ein Statusfeststellungsverfahren.
Verträge sind eine andere wichtige Baustelle für Freiberufler und deren Auftraggeber. Zwar fand die DRB im oben geschilderten Fall mit ihrer höchst eigenwilligen und teilweise abstrusen Interpretation des Vertrags beim Sozialgericht Wiesbaden kein Gehör – dies kann aber bei einem anderen Sozialgericht durchaus anders sein. Daher sollte den vertraglichen Regelungen höchste Aufmerksamkeit geschenkt werden, um der DRB keine unnötige Munition für eine entsprechende Vertragsauslegung zu liefern.
Abschließend weise ich darauf hin, dass dem Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden keine Bindungswirkung für andere Sozialgerichte oder Landessozialgerichte zukommt. Letztlich muss jeder Fall einzeln durchgekämpft werden. Dieses Urteil gibt dafür zusätzlichen Mut.