Wann und warum benötige ich als Freiberufler eine IT-Haftpflichtversicherung? Und wenn ja – was muss diese leisten und was darf sie eigentlich kosten? Relevante Fragen, die man grundsätzlich klären sollte, wenn man sich als freiberuflicher Informatiker vor allem auf die Projektarbeit konzentrieren und ansonsten ruhig schlafen will. Dazu muss man wissen, dass sich IT-Haftpflichtversicherungen aus bestehenden Versicherungs-Modellen für völlig andere Branchen entwickelt haben. Daher sind nicht alle Versicherungen, die sich IT-Haftpflicht nennen, auch wirklich umfassend auf die Risiken in der IT-Branche abgestimmt. Auf welche Kriterien jeder IT-Dienstleister achten sollte, damit er dennoch optimalen Versicherungsschutz zu durchaus bezahlbaren Preisen findet, erläutert Ralph Günther, Versicherungs-Experte, in unserer zweiteiligen Serie.
Haftpflichtversicherung sichert den Fremdschaden ab
Die klassische betriebliche Haftpflichtversicherung sichert Schäden „Dritter“ ab, die durch den Versicherungsnehmer verursacht wurden (Fremdschaden). Schäden, die der Versicherungsnehmer selbst erleidet (Eigenschäden) sind ohne Sondervereinbarungen ausgeschlossen.Versicherbar sind alle betrieblichen Risiken, auch Lieferungs- und Dienstleistungsrisiken, von IT-Dienstleistern, die von einem DRITTEN (Kunde, Auftraggeber) aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen* Inhalts für einen Personen-, Sach- oder Vermögensschaden verantwortlich gemacht werden.
- *Privatrechtlich bedeutet in diesem Zusammenhang nicht „privater Anspruch“, sondern ist der juristische Begriff im Zivilrecht. Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der verschiedenen Rechtssubjekte auf dem Boden der Gleichordnung. Zum Privatrecht gehören neben dem bürgerlichen Recht u.a. auch das Gesellschafts- und Handelsrecht oder das Urheberrecht.
Was ist eine IT-Haftpflichtversicherung?
Die Bezeichnung IT-Haftpflicht-Versicherung wurde in den letzen Jahren geprägt, basiert aber nicht auf einheitlichen oder gar standardisierten Versicherungslösungen. Der Zusatz IT- soll die Ausrichtung auf die IT- und Telekommunikationsbranche signalisieren.
Je nach Anbieter und „Grundbaustein“ kursieren die Bezeichnungen IT-Betriebshaftpflicht, IT-Vermögensschaden-Haftpflicht oder allgemein IT-Versicherung. Ist im Umfang auch eine „Bürohaftpflicht“ oder „Produkthaftpflicht“ beinhaltet, findet man auch diese Bezeichnungen. Der Überbegriff „IT-Berufshaftpflicht“ wird teilweise verwendet, wenn es um Versicherungsschutz für einen einzelnen IT-Freelancer oder Selbstständigen geht.
Entwicklung der IT-Haftpflichtversicherung
IT-Haftpflichtversicherungen wurden aus bereits bestehenden Betriebshaftpflichtversicherungen basierend auf den Allgemeinen Haftpflichtbedingungen (kurz AHB) entwickelt. Heute sind im Prinzip drei Konzepte von IT-Haftpflichtversicherungen auf dem Markt.
- IT-Haftpflicht aus klassischer Betriebshaftversicherung auf Basis der AHB inklusive der erweiterten Produkthaftpflichtbedingungen.
- IT-Haftpflicht aus Vermögensschaden-Haftpflichtkonzeptenauf Basis der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (kurz AVB), erweitert um Personen- und Sachschäden.
- IT-Haftpflicht aus frei formulierten Versicherungsbedingungen (auch Wording genannt), die nicht auf bestehende AHB und AVB aufbauen. Ursprünglich für Industrie- und internationale Policen entwickelt.
Nachfolgend die Besonderheiten, die sich durch diese unterschiedlichen Grundlagen ergeben:
1. Besonderheiten von Haftpflichtversicherungen auf Basis der AHB
Schäden während der Entwicklung oder (Teil-)implementierung
Die AHB und die erweiterte Produkthaftpflicht wurden nicht für selbstständige bzw. freiberufliche IT-Dienstleister entwickelt, sondern für produzierende Unternehmen, um Versicherungsschutz im Bereich der Mangelfolgeschäden zu bieten. Schäden vor der Abnahme von Produkten (z.B. einer Software) sind nicht versichert.
Bei IT-Dienstleistern kann es aber gerade während der Entwicklung und Einführung z.B. einer Hard- und Software, eines Backup-Systems, eines Netzwerkes oder bei der Systempflege zum Schaden kommen. Dieser Schaden wäre jedoch nach obigen Bedingungen nicht versichert.
Aus diesem Grund finden sich heute in den meisten IT-Haftpflichtkonzepten der Einschluss von Implementierungs-, Integrations- und Tätigkeitsschäden zusätzlich vereinbart. Jedoch oft mit zu niedrigen Deckungssummen (z.B. 50.000 Euro) und diversen Ausschlüssen. Teilweise ist nur die Wiederherstellung versehentlich gelöschter Daten versichert. Wobei wichtige Folgeschäden wie eine Betriebsunterbrechung unversichert bleiben.
Erfüllungsschäden und Folgeschäden wie Leistungsverzögerung
Die AHB schließen den Schadenersatz statt der Leistung aus. Dabei sind Schäden durch so genannte „Nichterfüllung“, Verzögerungen der Leistung und daraus folgende Ansprüche wegen entgangenem Gewinns (wenn nicht gesondert vereinbart) oder Aufwendungen des Kunden in Erwartung einer ordnungsgemäßen Leistung (z.B. zuverlässig laufende Software) nicht versichert. Doch gerade in der IT-Branche kommt es oft zu Projektverzögerungen, die zu einem nicht unerheblichen Schaden führen können.
Zusätzliche Ausschlüsse
Leider gibt es bei vielen Versicherern neben den bisher genannten Einschränkungen des Versicherungsschutzes zusätzliche Ausschlüsse, welche von bereits vorhandenen Versicherungskonzepten zum Nachteil für IT-Unternehmen übernommen wurden. Exemplarisch seien hier folgende Ausschlüsse genannt:
- Schäden durch nicht reproduzierbare Fehler
- Experimentierklausel und Erprobungsklausel
- Einschränkungen oder Ausschluss von Folgeschäden
- Leistungsausschluss bei unterlassener Software-Wartung und Pflege
- Ausschlüsse gewerblicher Schutzrechte wie Urheberrechte, Markenrechte, Datenschutz oder Persönlichkeitsrechte
Echte Vermögensschäden
Um reine Vermögensschäden absichern zu können, müssen die Betriebshaftpflichtbedingungen (kurz BHV) um die Mitversicherung von reinen Vermögensschäden erweitert werden. Die dem Vertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Haftpflichtbedingungen (AHB) beinhalten keinen Versicherungsschutz für echte Vermögensschäden* (auch reine Vermögensschäden genannt).
- *Ein echter Vermögensschaden liegt einfach gesprochen vor, wenn der Schaden nicht auf einen (zuvor eingetretenen) Personen- oder Sachschaden zurück zu führen ist.
In der Folge beinhaltet die in den AHB geregelte „Vorsorgeklausel“* nicht die im IT Kontext wichtigen und typischen reinen Vermögensschäden.
Wenn nun der Versicherer die BHV um die Deckung für Vermögensschäden erweitert, bewirkt diese zusätzliche Vereinbarung jedoch im Zusammenwirken mit den AHB, dass die Erweiterung nicht für die nur über die Vorsorgeklausel versicherten neuen Risiken gilt. Es sei denn, dies würde ebenfalls gesondert geregelt. Diese wird jedoch häufig nicht beachtet und kann damit zu einer bedrohlichen Versicherungslücke führen.
- *Die „Vorsorgeklausel“ regelt, dass neu hinzugekommene Risiken (z.B. neue im Versicherungsschein noch nicht aufgeführte Tätigkeiten durch ein neues Projekt oder einen neuen Kunden) bis zur nächsten Hauptfälligkeit des Vertrages oder bis zur Aktualisierung durch den Versicherer mitversichert sind.
2. Besonderheiten von Haftpflichtversicherungen auf Basis der AVB
IT-Haftpflichtkonzepte, welche auf den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschaden basieren, werden i.d.R. um eine Betriebshaftpflichtversicherung erweitert. Dadurch sind auch Personen- und Sachschäden versichert, die durch IT-Leistungen, Arbeiten beim Auftraggeber, bei Teilnahme an Messen und Ausstellungen, Verlust von Schlüsseln oder Code-Karten oder auf Dienstreisen eintreten können. Außerdem wird die zusätzliche BHV meist noch um eine Tätigkeitsschadenklausel (siehe 1.) erweitert.
Unterschiedliche Bedingungen für Vermögensschäden sowie Personen- und Sachschäden
Die Trennung der Bedingungswerke in eines für Vermögensschäden (AVB) und ein zweites für Personen- und Sachschäden (nach AHB) ist nicht optimal. In der Rechtsprechung herrschen noch Unklarheiten zur Abgrenzung der unterschiedlichen Schadenarten.
Unterschiedliche Sublimite (Unterversicherungs- bzw. Teilversicherungssummen)
Da in beiden Bedingungswerken und für die Tätigkeitsschadenklausel (sofern vereinbart) i.d.R. unterschiedliche Sublimite sowie Selbstbehalte gelten, ist der Versicherungsumfang inhomogen und Spannungen in der Schadenabwicklung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer zu erwarten.
Definition des Versicherungsfalls uneinheitlich
Durch die Verwendung von zwei unterschiedlichen Bedingungswerken kann es zu verschiedenen Regelungen im Versicherungsfall kommen. Dies ist insofern problematisch, da die Regelung zum Versicherungsfall auch darüber entscheidet, ob Versicherungsschutz im entsprechenden Zeitraum besteht oder nicht.
Beispiel: In den AVB ist der „Verstoß“ (der Schadenstiftente Umstand) als Schadenfall definiert. Bei einer Beratungsleistung kann der Verstoß deutlich vor dem später eintretenden Vermögensschaden liegen. Die BHV hingegen definiert das „Schadenereignis“ als Schadenfall. Dieser muss für eine Leistung im versicherten Zeitraum liegen.
Gebührenselbstbehalt nach AVB
Nicht selten wird in den AVB ein so genannter „Gebührenselbstbehalt“ vereinbart. Gebühren bzw. das vereinbarte Honorar des Versicherungsnehmers werden vom Schaden abgezogen (quasi als Selbstbeteiligung). Erstattet wird nur die Differenz. Schäden in Höhe der Rechnungsstellung für das IT-Projekt werden nicht übernommen. Da als Folge auch die Kosten für die im IT-Bereich wichtige „Abwehr von ungerechtfertigten Ansprüchen“ (so genannter passiver Rechtsschutz) nur anteilig übernommen werden, kann dies die Deckungslücke noch zusätzlich vergrößern
3. Frei formulierte IT-Haftpflichtbedingungen sind die bessere Alternative
Es gibt auch Versicherer, die frei- und speziell für die Anforderungen im IT-Bereich formulierte Versicherungsbedingungen anbieten. Diese Bedingungswerke sind knapper und verständlicher formuliert. Die genannten Probleme von AHB- und AVB-basierten Versicherungsangeboten werden dabei vermieden.
Kritiker meinen, dass es mit dieser Art von Versicherungsbedingungen noch wenig „Tradition“ und „Erfahrung“ gäbe. Dieser Einwand wiegt jedoch nicht die substanziellen Deckungslücken der AHB und AVB Kombi-Bedingungen auf. Frei formulierte Versicherungsbedingungen greifen auch dort, wo bei den traditionellen Bedingungen kein Versicherungsschutz mehr besteht.
Mittlerweile werden frei formulierte Versicherungsbedingungen angeboten, die
- keine Sublimite für Tätigkeitsschäden, Implementierungsschäden oder Rechtsverletzungen (wie z.B. Urheberrechtsverletzungen) aufweisen
- Leistungsverzögerungen inkl. Gewinnausfall des Kunden mitversichern und
- „automatisch“ alle neuen IT-Tätigkeiten und Risiken durch eine offene Deckung und All-Risk-Deckung mitversichern.
Fazit:
Trotz aller hier angesprochenen Problematiken sind IT-Haftpflichtversicherungen auf dem Markt, die zu vertretbaren Preisen die Anforderungen von IT-Freelancern, Selbständigen und IT-Dienstleistungsunternehmen erfüllen.
Es gibt zwar gute Lösungen auf Basis von AHB-Bedingungen, jedoch bieten die frei formulierten Versicherungsbedingungen in aller Regel den weitreichenderen Versicherungsschutz. Da es keinen brancheneinheitlichen standardisierten Versicherungsumfang gibt, ist eine genaue Analyse der Versicherungsbedingungen unerlässlich. Ältere IT-Haftpflichtverträge sollten auf den Prüfstein gestellt werden.
Welche Schadenfälle in der IT-Praxis auftreten können und welche Kriterien bei Abschluss einer IT-Haftpflichtversicherung deshalb besondere Beachtung verdienen, lesen Sie in Kürze.