„Lust auf Unisex-Tarife?“ fragt derzeit ein Versicherungsunternehmen auf großflächigen Plakaten. Hintergrund ist, dass die Versicherungsbranche ihre Tarife künftig geschlechtsneutral kalkulieren muss – eine Unterscheidung zwischen Tarifen für Männlein und Weiblein ist nicht mehr zulässig. So will es der Gesetzgeber. Gerade Freiberufler sollten die anstehenden Veränderungen zum Anlass nehmen, sich jetzt ihre Absicherungs-Situation genau anzuschauen.
Vor allem für Männer wird es in einigen Versicherungssparten zu deutlich höheren Beiträgen kommen. Mit diesem Argument werben Versicherer derzeit massiv dafür, jetzt noch einen Vertrag zu den ‚alten‘ Konditionen abzuschließen. Ist dies nur ein willkommener Vorwand, um den Versicherungsvertrieb zum Jahresende noch einmal anzukurbeln – oder steckt mehr dahinter?
Unisex – Worum geht´s eigentlich?
In den Tagen von Einheitsgrößen für Eier und Bananen mussten auf der Suche nach Ungleichheiten auch irgendwann die Versicherungen ins Visier der (europäischen) Behörden geraten. Der Stein des Anstoßes: geschlechtsabhängige Tarifkalkulationen.
Was auf nationaler Ebene noch recht harmlos anfing, indem zum Beispiel die medizinisch bedingten Kosten für die Geburt eines Kindes im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ab dem 01. Januar 2008 auch auf die Männertarife der Privaten Krankenversicherung verteilt werden mussten, gipfelte in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 01.03.2011. Zentrale Aussage: Geschlechtsspezifische Tarife stellen eine Benachteiligung dar. Die Versicherungen wurden folglich verpflichtet, künftig eine geschlechtsunabhängige Kalkulation vorzunehmen.
Dass die Unterschiede statistisch über Jahrzehnte belegt sind und sich kaum einer daran störte, weil es der Alltagserfahrung entspricht, dass Frauen beispielsweise in der Regel länger leben als Männer, störte den EuGH dabei nicht. Für die Umsetzung wurde den Versicherungen eine Übergangsfrist eingeräumt, die am 21. Dezember 2012 endet – danach gilt für alle Neuverträge: Unisex.
Auf welche Verträge wirkt sich Unisex aus?
Wichtig zunächst: Für bestehende Verträge ändert sich vorerst nichts. Die Regelungen gelten nur für Neuabschlüsse. Und: Unisex kommt bei allen Versicherungssparten zum Tragen, die bei der Kalkulation bislang das Geschlecht berücksichtigen. Das sind vor allem die so genannten Personenversicherungen, also zum Beispiel die Private Krankenversicherung (gilt auch für Zusatzversicherungen), die Absicherung bei Berufsunfähigkeit (BU), die Risikolebensversicherung, alle Versicherungen zur Altersvorsorge, die eine Rentenzahlung vorsehen und insbesondere auch die private Pflegezusatzversicherung.
Auch in manchen Sachversicherungen wird sich Unisex bemerkbar machen – hier vor allem bei der KFZ-Versicherung.
Wer gewinnt, wer verliert?
Man könnte ja vermuten, dass sich Vor- und Nachteile für die beiden Geschlechter ungefähr die Waage halten. Allerdings wäre das ja zu einfach…
Viele der heutigen Beitrags- beziehungsweise Leistungsunterschiede hängen mit der durchschnittlich höheren Lebenserwartung der Frauen zusammen. In der Krankenversicherung beispielsweise steigen die Kosten mit zunehmendem Alter rapide an. In gleichem Maß wächst auch das Risiko, pflegebedürftig zu werden, was in der Pflegezusatzversicherung zu höheren Beiträgen für Frauen führt. Bei Rentenversicherungen fällt die Rente heute bei Frauen niedriger aus, da sie im Schnitt länger gezahlt werden muss.
Für Männer wird es also künftig vor allem teurer, für die Frauen aber nicht wesentlich günstiger. Hä? Da ist doch was faul, oder?
Haben die Versicherungen wieder eine Möglichkeit gefunden, sich die Taschen voll zu packen?
Nein, in der Masse nicht. Die Versicherungen sind von Gesetzes wegen zu einer vorsichtigen Kalkulation verpflichtet. Es hilft schließlich keinem, wenn er zwar wenig Beitrag zahlt, aber die Versicherung deswegen pleitegeht und er ganz ohne Schutz dasteht.
Die versicherungsmathematischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind real und müssen bei der Kalkulation eines Gesamttarifs natürlich berücksichtigt werden. Die Versicherungen wissen aber nun nicht genau, wie das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist, die sich künftig für einen solchen Vertrag entscheiden. Setzen sie beispielsweise den Beitrag zum Beispiel bei der Pflegezusatzversicherung auf den Durchschnitt der heutigen Tarife, und es versichern sich dort überwiegend (kalkulatorisch teurere) Frauen, ist der Tarif schnell unterfinanziert. Daher muss sich der zukünftige Unisex-Beitrag eher am Beitrag des heute teureren Geschlechts orientieren.
Von welchen Größenordnungen ist die Rede?
Wie sich die Beiträge in den einzelnen Sparten entwickeln, ist von Versicherung zu Versicherung verschieden und hängt vor allem vom heutigen Anteil der Geschlechter in den Tarifen ab. Noch haben auch längst nicht alle Versicherungen ihre Unisex-Tarife endgültig kalkuliert und veröffentlicht. Es gibt aber zumindest Tendenzen – siehe Tabelle.
Die nachstehende Übersicht zeigt, wie sich voraussichtlich die künftigen Unisex-Beiträge – bei gleicher Leistung – im Verhältnis zu den heutigen Beiträgen entwickeln werden. Grundlage ist die gleiche Leistung wie in den heutigen Tarifen:
Sparte | Beitragsentwicklung Männer | Beitragsentwicklung Frauen |
Altersrente | +8% bis +15% | -1% bis -3% |
Berufsunfähigkeitsversicherung | +8% bis +12% | -1% bis -3% |
Pflegezusatzversicherung | +30% bis +40% | -4% bis -8% |
Krankenversicherung | +10% bis +20% | -6% bis -10% |
Unfallversicherung Kinder | +10% bis +15% | -3% bis -7% |
Wer sollte handeln?
Wie man sieht, sind die Auswirkungen teilweise erheblich. Wer sollte nun aktiv werden?
Zunächst: Wer keinen neuen Fernseher braucht, muss auch nicht losrennen, wenn ihm ein Elektromarkt die Mehrwertsteuer schenkt. Will sagen: Wer seine Versicherungsthemen geregelt und zumindest einigermaßen auf aktuellem Stand hat, braucht nichts Neues abzuschließen.
Allerdings schieben viele Menschen wichtige Absicherungsfragen vor sich her, da die damit verbundenen Themen wie Alter, Krankheit oder Tod naturgemäß wenig Freude bereiten. Hier könnten die Auswirkungen von Unisex den Anstoß geben, sich endlich ausführlich zumindest in versicherungstechnischer Hinsicht mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Zum einen bringt ein Abschluss vor dem 21. Dezember unter Umständen handfeste finanzielle Vorteile. Zum anderen kann es zusätzlich motivieren, sich selbst endlich wichtige Fragen rund um die eigene Absicherung beantworten zu lassen. Dies gilt angesichts der Tabelle vor allem für Männer.
Sollten Frauen dann abwarten?
In den meisten Sparten bieten die Versicherungen für Verträge, die jetzt noch abgeschlossen werden, eine Umtauschoption an: Sollte sich herausstellen, dass der neue ‚Unisex-Tarif‘ günstiger ist als der heutige, kann ohne neue Prüfung gewechselt werden. So soll verhindert werden, dass gerade Frauen den Vertragsabschluss in der Hoffnung auf günstigere ‚Unisex-Beiträge‘ hinauszögern.
Diese natürlich nicht ganz uneigennützige Regelung der Versicherer bietet für den Kunden einen handfesten Vorteil: Für die meisten der betroffenen Versicherungen müssen Gesundheitsfragen beantwortet werden. Leider passiert es immer wieder, dass es während der Phase des Überlegens zu Diagnosen kommt, die eine spätere Antragstellung erschweren oder gar verhindern. Hier gilt: Wenn Bedarf besteht, so früh wie möglich abschließen!
Was passiert mit Altverträgen?
Die Kurzform: Nichts. Wenn es sich nicht um kürzlich abgeschlossene Verträge mit einer Umtauschoption handelt, wird der Tarif wie bisher weitergeführt. Bei einer erheblichen Vertragsänderung, zum Beispiel der Wiederinkraftsetzung nach einer Beitragsfreistellung, kann es allerdings passieren, dass dann automatisch auf Unisex umgestellt wird. Hier ist also Vorsicht geboten.
Sollte man von einem bestehenden Tarif aktiv in Unisex wechseln, wenn dieser günstiger wird? Auch hier heißt es: Genau hinschauen. Ein solcher Wechsel ohne Umtauschoption gilt als Neuantrag. Neben einem höheren Eintrittsalter müssen auch die Gesundheitsfragen neu beantwortet werden. Es kann also sein, dass einer nur kleinen Ersparnis ein schlechterer Schutz gegenübersteht.
Generell gilt also: Erst prüfen, dann wechseln – und nie erst kündigen und dann neu abschließen.
Was gilt es noch zu beachten?
Wenn Sie Unisex zum Anlass nehmen, aktiv zu werden, schauen Sie, dass Ihnen Ihre jetzigen Vorteile erhalten bleiben. Dies gilt vor allem für manche Rentenversicherung, die bei Änderungen oder Zuzahlungen dann doch die neuen Tarife zugrunde legt.
Auch eine Wechseloption für den Fall, dass Unisex günstiger wird, muss natürlich belastbar sein und darf keine versteckten Bedingungen enthalten.