Innovation und Veränderung brauchen Stütz- und Schutzsysteme. Voraussetzung für ein positives Herangehen und Interesse an Veränderungen ist sichere Ausgangsbasis. Wertorientierte Ansätze können helfen, die Beherrschbarkeit von chaotischen Systemen realistisch einzuschätzen und bei aller Unplanbarkeit die eigenen Steuerungskompetenzen zu erhalten.
Ich werde in diesem Artikel wertorientierte Ansätze der Zukunftsgestaltung untersuchen. Insbesondere Tools der Transaktionsanalyse (TA) können Hilfestellung für Zukunftsfragen und –ängste geben.
Ansätze der Zukunftsgestaltung und -forschung
Das zentrale Thema, wenn es um Zukunftsgestaltung geht lautet: Es gibt keine Zukunft außerhalb von uns selbst. Viele Zukunftsforschungsansätze extrapolieren vergangene Trends, was sich dann manchmal erfüllt, manchmal auch nicht oder sich im Sinne einer Self-Fulfilling-Prophecy fortsetzt (Benchmarkingeffekt).
HORX (2009) schreibt in seinem Buch „Wie wir leben werden: „Wodurch entsteht also Zukunft? Sie entsteht – erstens – durch Zufälle, an denen wir nichts oder wenig ändern können. Sie erwächst – zweitens – aus der Gesetzmäßigkeit lebendiger Systeme, die wir verstehen lernen können… Sie entwickelt sich aber vor allem – drittens – durch menschliches Handeln. Durch humane Vereinbarungen.“
Aus dieser These abgeleitet kann man 3 Quellen zum Gestalten der Zukunft untersuchen: Schicksal, Wissenschaft und menschliches Handeln. Lassen Sie mich zunächst die beiden ersten Faktoren erläutern. Beim dritten Faktor, dem menschlichen Handeln, werde ich dann aufzeigen, wie die TA einen wesentlichen Beitrag leisten kann.
1. Schicksal
Wollen wir dem Schicksal begegnen, so kommen wir in esoterische oder religiöse Regionen. Ich persönlich halte hier Konzepte für hilfreich wie
- Urvertrauen, das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein, Gottvertrauen oder der Glaube, dass alles, was passiert zum Besten für mich selbst und andere geschieht
- Gelassenheit, und positives Denken
- Konzepte aus dem Buddhismus, die z.B. als Achtsamkeitsschulung (Mindfulness) ihren Einzug in den Westen gefunden haben (siehe WEISS et al 20104).
Je nach persönlicher Neigung, Kultur, Religiosität etc. sind hier verschiedene und in der Regel eher intuitive und persönliche Zugänge zu Schicksalsfragen denkbar. An dieser Stelle mögen Sie sich selbst fragen:
- Was gibt mir Sicherheit in Zeiten des Wandels?
- Was sind meine eigenen stützenden Werte und die der Kultur in der ich lebe?
2. Wissenschaft
Neben dieser oft wenig beeinflussbaren Komponente der Zukunft, in der Zukunft eher wie ein Lottospiel erscheint, können natürlich auch wissenschaftliche Ansätze im Sinne der Erforschung von Gesetzmäßigkeiten der Zukunft (Zukunftsforschung) hilfreich sein. Doch Vorsicht: neben dem oben schon erwähnten „Self-Fullfilling-Prophecy“-Effekt des Benchmarkings kann man viele weitere Mythen und Illusionen über Zukunftsmanagement feststellen, wie z.B. die in MICIC (20072) genannten Mythen der Machbarkeit, Vorhersagbarkeit, Beherrschbarkeit von Zukunft durch „die richtigen“ Fachleute und Methoden. Dennoch sind durch gute Beobachtung und intelligente Interpretation vorliegender Daten einige Trends ablesbar, wie z.B die Fünf-C-Ökonomie (HORX 20092, Wie wir leben werden, oder in seinem Journal „Zukunftsletter“): Computing (deutlicher Trend zum digitalen Lebensstil), Caring, Catering, Consulting, Coaching, oder den deutlichen Rückgang von sicheren Arbeitsplätzen oder abhaltenden Trend zur Verjüngungskultur.
Interessant ist auch HORX`s Hinweise, dass es notwendig sein wird, eine neue Metaethik zu etablieren, die die neue Komplexität der Welt abbildet und die derzeitige Komplexität von Demokratien übersteigt. Kernfrage wird sein: Leider (oder glücklicherweise) kann Zukunftsforschung nicht als „harte“ Wissenschaft gelten, die mit hohem Prognosewert die Zukunft vorhersagt, es bleibt immer mehr oder weniger viel Ungewissheit:
„Geht ein Mensch von Gewissheiten aus, wird er im Zweifel enden; gibt er sich aber damit zufrieden, von Zweifeln auszugehen, wird er am Ende Gewissheit haben“ (Francis Bacon).
3. Menschliches Handeln und praktische Tools zur Zukunftsbewältigung
Welch ein Glück – neben Schicksal und prognostizierbarer Determination steht uns der freie Wille zur Verfügung, ist unser persönliches Handeln relevant. Wir selbst konstruieren unsere Wirklichkeit und Zukunft und können uns darauf verlassen:
„Es steht uns immer frei, entsprechend jener Zukunft zu handeln, die wir uns schaffen wollen.“ (Heinz von Förster in RADATZ 2003)
In der Transaktionsanalyse wird dieser Focus auf das menschliche Handeln als Autonomie bezeichnet: verantwortliche Selbststeuerung und Professionalität.
Autonomie
Autonomie im Organisationskontext ist die Fähigkeit zur Selbststeuerung in Kontakt mit anderen Menschen unter Beachtung der Komplexität der Systeme (KREYENBERG 2007). Das in der TA vorrangige Streben nach einer guten Autonomie in Beziehung stellt ein wertorientiertes Leitziel dar, das definiert ist durch (nach Schlegel 1993):
- Mut, Entscheidung und Fähigkeit, die Verantwortung für seine Gefühle, Urteile und Entscheidungen zu übernehmen
- die Realität so zu sehen wie sie ist,
- anstehenden Problemen nicht auszuweichen, sondern ihre Lösung eigenständig anzupacken,
- aus allen, auch aus unangenehmen Erfahrungen zu lernen,
- redlich mit den Mitmenschen umzugehen.
Man kann die Hauptkriterien von Autonomie umschreiben mit Bewusstheit, Flexibilität und Kommunikationsfähigkeit:
- Bewusstheit
… bedeutet, sowohl relevante Umwelten wahrzunehmen und z.B. künftige Markt- und Kundenbedürfnisse angemessen zu erforschen, als auch sich selbst mit Unternehmensvisionen, Strategien, Zielen, Businessplänen zu positionieren. - Flexibilität
… bezieht sich auf Wege der Ideenfindung, situative Führung, Rollenmanagement, Entscheidungsfindungsprozesse, Ressourcennutzung und Wissensmanagement. Flexibilität bedeutet, freien Zugang zu verschiedenen Energiequellen zu haben und so kreativ Probleme lösen zu können. - Kommunikationsfähigkeit
Gemeint ist eine Wertehaltung, die Vertrauen, Klarheit, Offenheit und Ehrlichkeit und einen direkten, aufrichtigen Zugang zu anderen Menschen beinhaltet. Diese Grundhaltung äußert sich dann in der Besprechungs-, Konflikt- und Feedbackkultur, in der Art, in der interne und externe Kommunikation (Kunden, Lieferanten etc.) stattfindet, aber auch in einer Art emotionaler Kompetenz: Gefühle sind wichtig und (angemessen) zugelassen und Erwartungen, Erfolge und Misserfolge werden offen thematisiert.
Insbesondere zum Thema Kommunikation liefert die TA viele Konzepte (von Interaktionen über Spiele, Dramadreieck etc.). Insbesondere die Art und Weise, in der wir uns einander zuwenden und konstruktiv (Strokes“) oder destruktiv („Abwertung“) Aufmerksamkeit oder Rückmeldung geben, ist aus meiner Erfahrung eines der stärksten Kommunikations-instrumente: Es wächst das, was wir gießen. Dieser TA-Ansatz passt sehr gut zu neueren Ansätzen der positiven Psychologie und zum ressourcen- und lösungsorientierten Ansatz (siehe z.B. PEACOCK 2001).
Entscheidungsorientierung
Die Gestaltung der eigenen Zukunft erfordert Denken in Optionen und Wahlmöglichkeiten. Dabei geht es sowohl im „bewusste“, (Erwachsenen-Ich)-Entscheidungen, als auch darum, das „Kind“ mitzunehmen, Unbewusstes, Emotionen, Bedürfnisse etc. Die zentrale Frage „Was braucht es, damit alle (innerlich und äußerlich) mitmachen“ ist auch der Ausgangspunkt für Vereinbarungen, Motivation, Zielreichung und Teamarbeit.
Dabei wird besonders erwachsenes, realitätsangemessenes, klärendes und problemlösendes Denken gefördert. Also nicht grübeln oder beurteilen, sondern die Realität prüfen (Fakten und Emotionen), Informationen sammeln und bewerten, den Kontext einbeziehen, Alternativen wahrnehmen, Hypothesen entwickeln, sich entscheiden und kleine Schritte planen. So wird ein psychischer Zustand von Stabilität erreicht, von Gelassenheit statt Besorgtheit.
Skriptglaubenssätze und (auch kulturelle) Trübungen können bewusst gemacht und überwunden werden, z.B. könnte ein kulturell weit verbreiteter Skriptsatz in Bezug auf Zukunftspläne den Titel „Bescheidenheit“ haben („Schuster bleib bei deinen Leisten, Übermut tut selten gut, Vögel die morgens pfeifen holt abends die Katz“ etc.). Entscheidungsorientiert könnte man hier verschiedene methodische Ansätze wählen. Oft geht es darum, unverfälschte ursprüngliche Kind-Bedürfnisse zu entdecken: „Was will ich wirklich?“ Und was davon ist nicht mehr realistisch, Skript oder einfach überholt? Hier sind drei Reflexionsfragen hilfreich:
- Was würde ich tun/wollen/sein, wenn ich mehr Zeit und/oder Geld hätte?
- Was davon ist mir wirklich wichtig, wahres Bedürfnis?
- Wie kann ich (dahinterliegende) Anteile in mein jetziges Leben integrieren?
Oft liegt Entscheidungsfragen inzwischen aber auch die Auswahl eines Zuviel an Optionen zugrunde. Hier gilt es auch, eine innere Entscheidungsinstanz zu stärken, die sowohl die bestmöglichen Alternativen analysieren, als auch zur Ungewissheit von Entscheidungen stehen kann und das Konzept „DIE richtige Wahl treffen (ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen)“ als Illusion erkennt. Kulturell begegnet dies dem externen Dienstleister oft in Form der Haltung „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“. Verantwortungsethik setzt hier Akzente und nimmt auch die Nachteile von Entscheidungen in Kauf.