Der Betriebsalltag stellt oft hohe Anforderungen an Freelancer, die in immer wechselnden Projekten tätig sind. Es wird von ihnen vorausgesetzt, kleinere und größere Konflikte, Spannungen, Auseinandersetzungen und Ärger zu bewältigen. Aufgrund der wachsenden Komplexität von Unternehmen wird ein konstruktiver Umgang mit Meinungsverschiedenheiten, zwischenmenschlichen Differenzen oder Interessensunterschieden immer notwendiger. Konflikte zu erkennen, zu verstehen und erfolgreich zu bewältigen, ist Voraussetzung für persönliche Zufriedenheit und Effektivität in Unternehmen.
Im ersten Teil unserer dreiteiligen Serien „Konflikte erfolgreich bewältigen“ erläutert Dipl. Psychologin Jutta Kreyenberg, woran Konflikte erkannt und wie Konfliktsituationen analysiert werden können.
A: Verständnis von Konflikten
Menschen verstehen ganz Unterschiedliches unter Konflikt. Meist werden Konflikte als unangenehm empfunden: Konflikte sind etwas Lästiges. Die Situation wird in der Regel dadurch erschwert, dass sich die Gemüter erhitzen, sachliches Argumentieren vergessen wird und die zwischenmenschlichen Beziehungen gestört sind.
Konflikte sind normal
Andererseits sind Unternehmen ohne innerbetriebliche Spannungen, Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen nicht denkbar. Konflikte sind unausweichlich, allgegenwärtig und eine normale Erscheinung. Dem menschlichen Bedürfnis nach Harmonie steht die unternehmerische Notwendigkeit nach Auseinandersetzung gegenüber.
Konflikte als Chance
Noch vor einigen Jahren wurde das Thema Konfliktmanagement in vielen Unternehmen tabuisiert. Inzwischen sorgen vielfältige Veränderungen, Umstrukturierungen, Betriebszusammenlegungen oder -schließungen dafür, dass Konflikte schlichtweg unvermeidbar werden. Die steigende Komplexität und der beschleunigte Wandel machen die Bewältigung von Konflikten zur unabdingbaren Führungsaufgabe. Damit Konflikte nicht zum bloßen Ärgernis, sondern zur Chance werden, ist es wichtig
- Konflikte rechtzeitig zu erkennen
- zu verstehen, wie sie zustande kommen und
- den richtigen Umgang mit ihnen zu lernen.
B: Definition von Konflikt
In der Begriffsvielfalt von Konflikten hat sich eine am Unternehmen orientierte Sichtweise durchgesetzt.
Handeln im Unternehmen heißt: | Daraus resultieren entsprechende Konfliktursachen bzw. -arten: |
|
1. Ziele zu setzen oder zu vereinbaren | Zielkonflikte | |
2. sie auf bestimmten Wegen zu erreichen | Beurteilungskonflikte | |
3. mit den erforderlichen Ressourcen | Verteilungskonflikte | |
4. von und mit Menschen | Beziehungskonflikte | |
5. die bestimmte Funktionen bzw. Rollen innehaben | Rollenkonflikte |
Konflikte können an jeder Stelle im Unternehmen auftreten. Sie sind Unstimmigkeiten über Ziele, Wege der Zielerreichung, die Verteilung von Ressourcen, die Zusammenarbeit oder Rollen.
C: Konfliktbeispiele
I | Ein Zielkonflikt besteht beispielsweise, wenn der IT-Vorstand daran gemessen wird, Personalkosten dauerhaft einzusparen und für temporäre Engpässe daher Freelancer präferiert, die IT-Abteilung jedoch das Know-how dauerhaft in der Abteilung halten möchte, um für Kontinuität zu sorgen und um wiederkehrende Einarbeitungsaufwände zu vermeiden. |
II | Ein Beurteilungskonflikt liegt vor, wenn zwei Mitarbeiter der IT-Abteilung sich zwar einig darüber sind, dass die bisherigen Datenbanksysteme den Anforderungen nicht mehr genügen, nicht aber darüber, welche der am Markt etablierten Datenbanken sich besser eignen. |
III | Um einen Verteilungskonflikt handelt es sich bei der Aufteilung von Budgets, der Absprache über Urlaubszeiten in den Ferien oder der Vergabe von Parkplätzen. |
IV | Beziehungskonflikte liegen vor, wenn Menschen sich nicht akzeptiert fühlen, nicht einbezogen oder abgelehnt werden. Oft wird auch von Antipathie oder Nasenfaktor gesprochen: „die Chemie stimmt nicht.“ |
V | Um einen Rollenkonflikt handelt es sich z.B., wenn der IT-Leiter gleichzeitig der beste Freund des Freelancers ist, dessen mangelhafte Leistung er rügen muss. |
Auf der rationalen Ebene (Punkte 1 bis 3) sind Konflikte häufig zu lösen, wenn die menschliche Ebene stimmt. Unangenehm und schwierig wird es, wenn emotional gefärbte Beziehungs- oder Rollenkonflikte die anderen Konfliktarten überdecken oder begleiten.
D: Praktische Umsetzung
Um effektive Ergebnisse zu erzielen und konstruktiv mit Konflikten umgehen zu können, ist eine systematische Vorgehensweise notwendig. Der Prozess der erfolgreichen Konfliktbewältigung umfasst fünf Stufen:
1. Erkennen von Konflikten
2. Analyse von Konfliktursachen
3. Einstellungen zu Konflikten
4. Konfliktbewältigungsstrategien
5. Analyse der Konsequenzen
E: Erkennen von Konflikten
Gerade für Freelancer, die in immer wechselnden Projekten tätig sind, ist es wichtig, ein Gespür für die Früherkennung von Konflikten zu entwickeln. Viele Reibungsverluste oder Spannungen lassen sich dadurch vermeiden oder rechtzeitig beheben. Wie bei einem Brand im Dachstuhl ist notwendig, das Knistern im Gebälk rechtzeitig zu hören, statt abzuwarten, bis offenes Feuer sichtbar wird. Denn oft werden von den Beteiligten Konflikte nicht als solche erkannt oder nicht offen angesprochen. Beispielsweise muss die Führungskraft bei unliebsamen Entscheidungen mit Konflikten in Form von offenem oder verdecktem Widerstand rechnen.
Signale für sich anbahnende oder bestehende Konflikte liegen im zwischenmenschlichen Verhalten oder in sachrationalen Verschlechterungen, z.B.
Offener Widerstand
- deutlich widersprechen
- schimpfen, meckern, jammern
- Trotzreaktionen
- Betonen der Probleme
- häufige Beschwerden
Feindseligkeit
- verletzende, abwertende Bemerkungen
- den anderen lächerlich machen
- Nicht-Anerkennen guter Leistungen
- absichtliche Fehler
indirekter Widerstand
- Auflaufen lassen
- endlos diskutieren
- intrigieren, hintenrum hetzen
- Denunzieren, Gerüchteküche
- Sabotage
Sturheit
- starres Festhalten an der bisherigen Vorgehensweise oder am eigenen Standpunkt
- Dienst nach Vorschrift
Flucht
- Vermeiden von Kontakt
- hohe Fehlzeiten
- Bitte um Versetzung
- Kündigung
Passivität
- nur das Notwendigste tun
- zu spät kommen
- keine Entscheidungen treffen
- sich zurückziehen
Konformität
- nach dem Mund reden, „schön tun“, „Rad fahren“
- Kritik nicht äußern
- gute Vorschläge zurückhalten
Formalität
- überformalisierte Regelungen von gemeinsamen Treffen
- distanzierte Höflichkeit
- Betonen schriftlicher Kommunikation
schlechte „Zahlen“
- hohe Fehlerquote
- hoher Krankenstand
- Kostensteigerung
Konfliktsymptome sind selten eindeutig zu interpretieren. Oft fällt ein Konflikt erst durch die Veränderung zum Status Quo auf (plötzlich auffälliges Verhalten etc.). Die Stärke eines Konfliktes hängt davon ab, wie viele dieser Symptome gleichzeitig vorliegen.
F: Analyse von Konfliktursachen
„Problem erkannt, Problem gebannt“ sagt der Volksmund. Doch auf das Wahrnehmen von Konflikten muss deren situative Einschätzung und Abwägung folgen. Eine differenzierte Analyse der Situation umfasst Fragen wie:
- Wer sind die Beteiligten?
- Wie einflussreich sind sie? Wer wird sie unterstützen?
- Wie wichtig ist mir die Klärung des Konfliktes? Wie wichtig ist die Klärung den anderen Beteiligten?
- Welche Konfliktart steht hier im Vordergrund?
- Sind ähnliche Situationen schon einmal gelöst worden?
Diese Situationseinschätzung ist häufig subjektiv und hängt davon ab, wie differenziert jemand die Handlungspläne und Beweggründe aller Beteiligten kennt.
Im zweiten Teil unserer Reihe „Konflikte erfolgreich bewältigen“ erläutert Dipl. Psychologin Jutta Kreyenberg verschiedene Strategien um Konflikte erfolgreich zu bewältigen.
Ein Kommentar
Hallo Frau Kreyenberg,
mit diesem Artikel ist Ihnen ein sehr guter Überblick gelungen. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Beteiligten durch die Konfliktfolgen sehr gestresst sind und den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Da ist es für viele Unternehmen schon eine erste Entlastung, wenn man gemeinsam mit Ihnen versucht, nach den Konfliktursachen zu forschen. Jetzt bin ich gespannt auf Ihren 2. Artikel ;).
Herzliche Grüße aus Düsseldorf
Helena Schlüter