Als langjährige Requirements Engineering (RE) -Praktiker haben wir das Projektkonzert um die Entstehung von Produkten in verschiedenen Organisationen und Prozessmodellen begleitet.
Eine Note, die in dieser Symphonie niemals fehlte, war der dominante Klang von Macht und Politik, wenn es um die Gestaltung, die Terminierung und die Gewichtung von Produkteigenschaften bzw. Requirements ging. Entscheidungen über Anforderungen oder deren Priorisierung sowie Argumente sind oftmals nicht nur Ausdruck sachlicher Wünsche, sondern beinhalten auch Konflikte zwischen Stakeholdern und deren persönlichen, politischen Ziele.
In der kommenden Blog-Serie werden wir diese Machtverhältnisse beleuchten und darauf eingehen, wie man mit diesem Einfluss umgehen kann. Denn eines ist klar: Machtfragen sind untrennbar mit dem Thema Requirements Engineering verbunden.
Was sind Macht und Politik?
Macht hat zwei Richtungen: Erstens das Denken und Handeln anderer zu beeinflussen (=Macht über). Und zweitens, selbst unabhängig von äußeren Einflüssen zu sein (=Macht zu). [1]
Wir definieren Politik anhand folgender beider Quellen: „Politik ist die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“ [2].
Politik dagegen „ist das Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung…“ [3].
Weder Macht noch Politik wollen wir positiv oder negativ werten. Sie gehören zur Arbeit in Projekten und insbesondere im RE dazu. Gleichzeitig ist RE stärker verwundbar als andere Projektaktivitäten, da dabei wegweisende Entscheidungen getroffen werden und es darum auf vielfältige Weise durch persönliche Agenden und die Beziehungen zwischen den Stakeholdern geprägt wird. Letztlich spiegeln die Ergebnisse des REs immer auch die herrschenden Machtverhältnisse wider und sind daher aus rein fachlicher Sicht zumeist suboptimal.
Umgehen mit Machteinflüssen: das Best Practices Modell
Wir haben die Mitglieder des GI-Arbeitskreises „Softskills Required!“ nach Fallstudien und Erlebnissen befragt und daraus Best Practices zum Umgang mit Macht und Politik im RE abgeleitet. Die folgenden, allgemein formulierten Muster sind dadurch entstanden.
Abbildung1: Ableitungsprozess für Best Practices
Zur besseren Übersicht haben wir diese Best Practices in die drei Kategorien eingeteilt, von denen wir im Folgenden den ersten Teil vorstellen.
- Teil1: Leitsätze und Fundament
- Teil2: Grundlegende Best Practices
- Teil3: Spezielle Best Practices
Abbildung 2: Best Practices Kategorien
Da sich Erfahrungen unterscheiden können und um dem Ganzen zudem eine empirische Grundlage zu verleihen, haben wir innerhalb des Arbeitskreises eine Umfrage durchgeführt. Die gemittelten Ergebnisse können unten eingesehen waren. Dabei steht der Wert 1 für „stimme gar nicht zu“ und 5 für „stimme voll zu“.
Teil 1: Leitsätze und Fundament
- Requirements Engineering kann nicht frei von Machtspielen und politischen Einflüssen sein. Es involviert eine Reihe von Interessensgruppierungen und enthält damit alle Spielarten zwischenmenschlicher Interaktionen innerhalb von hierarchischen und auf Konkurrenzdenken ausgerichteten Strukturen. (3,6)
- Konflikte und Politik sind meist nicht persönlich gemeint, sondern rollenbedingt. (3,3)
- Da Konflikte/ Politik rollenbedingt sind, sind sie vorhersehbar. (2,6)
- Der erfolgreiche Requirements Engineer akzeptiert diese Einflüsse. (3,7)
- Er kennt die Macht und die Einflussmöglichkeiten der Stakeholder. (4,3)
- Er bezieht diese Einflüsse in die Konsensbildung mit ein. (4,7)
- Er erkennt Verzerrungen und gleich sie aus. (4,0)
- Er nutzt seine fachliche Kompetenz als eigene Machtbasis und arbeitet mit sachlichen Argumenten. (4,5)
- Er kennt aber auch die Grenzen der sachlichen Argumente. (4,8)
- Wer im RE tätig sein will, muss mit politischen Einflüssen umgehen können. (3,5)
Die weiteren Artikel
In weiteren Artikeln gehen wir auf die einzelnen spezielleren Best Practices ein. Wir freuen uns über Ihre Kommentare und Ideen.