Dass man als Selbständiger dafür sorgen muss, gut ausgelastet zu sein, das weiß jeder. Eher unterschätzt wird die Schwierigkeit, die Auslastung genau auf eine 40-Stunden-Woche hin zuzuschneidern. Viel zu oft arbeiten Leute, die einen ordentlichen Stundenlohn bekommen, Tag und Nacht wie ein Barkeeper oder Tellerwäscher mit einem Tag- und einem Nachtjob. Lesen Sie in diesem ersten Teil, warum Standard-Auslastungsformeln für einen Freiberufler nicht funktionieren.
Inzwischen bin ich seit fünf Jahren selbständig und habe verstanden, was das Auslastungsproblem verursacht! Wir Selbständigen werden offensichtlich Opfer eines Naturgesetzes, das lautet: „Die schlecht bezahlenden Kunden buchen schon ein Jahr im Voraus, die gut bezahlten Projekte kommen immer kurzfristig und überraschend herein.“ Natürlich gibt es auch gut zahlende Kunden, die vorausplanen, und Witzbolde, die versuchen, uns kurzfristig für wenig Geld anzuheuern. Aber beide verursachen keine Auslastungsprobleme. Die wenigen gut bezahlenden, vorausplanenden Kunden sind natürlich Premium-Kunden und die Witzbolde lachen wir aus, wenn wir ordentlich ausgelastet sind. Regelmäßig entsteht Überlast rückblickend jedoch so: Mit halbwegs ordentlich bezahlten Aufträgen, oft die typische Routine, bin ich nun eigentlich schon fast ausgelastet, und dann kommt plötzlich noch eine ganz spannende Anfrage, die nicht nur finanziell attraktiv ist, sondern auch noch inhaltlich spannend. Erfolgreiche Selbständige und Experten sind ja per Definition Menschen, die gerne arbeiten. Gerade an spannenden Projekten, wenn sie dringend gebraucht werden und die Vorstellung, was man sich von dem tollen Honorar alles wird leisten können, motiviert natürlich. Also rechnet man durch und denkt: „Na, wird ein bisschen hektisch, aber ich mach’s!“
Unterschiedliche Verhältnisse
Eine solche Überlastphase muss nicht unbedingt ein Problem darstellen. Das hängt von der Stundenzahl und anderen Stressfaktoren ab, der Dauer der Überlast und welche Verpflichtungen man sonst noch hat. Ein sozial isolierter Single-Nomade kann problemlos Tag und Nacht arbeiten, während ein Familienvater, der außerdem noch den Sportverein als Vorstand leitet, mit 50 oder 60 Wochenstunden schon überlastet ist.
Wie kann uns Zeitmanagement helfen, um die Auslastung im richtigen Korridor zu halten? Mein erster Gedanke war, dass ich alle anstehenden Projekte aufliste, für jeden Monat aufschreibe, wie viele Tage ich daran zu arbeiten plane, falls das Projekt kommt, und dann mit der Auftragswahrscheinlichkeit zu multiplizieren. Anschließend summiere ich über den Monat auf und – Magie der Statistik! – am Ende berechnet meine selbstgebastelte Tabelle mir die Auslastung für die nächsten Monate aus.
Dieses Verfahren hat aus folgenden Gründen nicht funktioniert:
- Statistik-Problem der kleinen Stichprobe: Diese Formeln, die in einer Firma mit vielen Mitarbeitern und Projekten im Mittel (vermutlich) halbwegs realistische Vorhersagen erlauben, leiden bei einem Freiberufler eindeutig an der kleinen Stichprobe. Ein Gefühl für die Ungenauigkeit der Prognose entsteht, wenn Sie statt mit Mittelwerten mit minimalen und maximalen Werten rechnen. Das führt zu Prognosen im Stil von: „Im Mai werde ich zwischen 5 und 40 Tagen Auslastung haben.“ Eine solche Prognose hilft überhaupt nicht bei der Entscheidung, ob man sich um weitere Projekte bemühen sollte. Bei mir ist schon alles vorgekommen, sowohl das Ausfallen oder Verschieben beinahe aller geplanten Projekte als auch dass sämtliche Aufträge herein kamen, sogar die ganz unwahrscheinlichen. (Diesen Juni war das so!) Zwar kann ich über die Jahre im Nachhinein ganz hübsche Mittelwerte berechnen, aber Prognosen mit Hilfe von Statistik sind bei kleinen Stichproben schwierig.
- Shit in – shit out: Ein grundlegendes Prinzip der praktischen Mathematik lautet, dass eine Formel nur dann sinnvolle Ergebnisse ausrechnen kann, wenn sinnvolle Werte eingefüttert werden. Allerdings sind Prognosen über Projekte, deren Beginn mehr als drei Monate in der Zukunft liegt, kaum ernsthaft möglich. Erst kurzfristig – zu kurzfristig – klärt sich, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Projekt kommt, wann es beginnt und wie viel Aufwand es machen wird.
- Notfälle und andere kurzfristigen Projekte: Gerade wenn den Kunden ein Trainer erkrankt oder ein anderer Notfall eintritt, sind sie bereit, denjenigen ordentlich zu bezahlen, der ihnen aus der Klemme hilft. Helfen tun wir ja sowieso gerne. Und schon ist die ganze sorgfältig berechnete Prognose hinfällig.
Aber keine Sorge: Ich würde das Problem nicht ansprechen, wenn ich nicht Zeitmanagement-Lösungen dafür hätte. Lesen Sie dazu mehr in Teil 2.