Prokrastination ist eine neue Volkskrankheit, auf Deutsch auch Aufschieberitis genannt. Prokrastination bedeutet, dass man zuerst die unwichtige Arbeit macht, um sich vor der wichtigen und dringenden zu drücken, bis diese zuletzt heute unerledigt liegen bleibt – und morgen erneut. Auch häufige Arbeitsunterbrechungen bei der unliebsamen Aufgabe gehören zu den Symptomen. Der Unterschied zur ganz normalen Bummelei, für die wohl jeder anfällig ist, besteht im subjektiv empfundenen Leidensdruck und der objektiv beobachtbaren Tatsache, dass wichtige Termine nicht eingehalten werden, obwohl es möglich gewesen wäre. Der Prokrastinierer leidet, weil er aus ihm selbst unverständlichen Gründen nie das tut, was er tun wollte. Ganz besonders häufig tritt dieses Problem bei all jenen auf, die sich ihre Arbeitszeit selbst einteilen müssen, und die nicht von einem Chef angetrieben oder Vorarbeiter überwacht werden. Dazu gehören also Freiberufler, Studenten, Journalisten, Künstler, Lehrer.
Was gehört nicht zu Prokrastination
Bei den folgenden Situationen handelt es sich jedoch nicht um Prokrastination: Wenn Sie die wichtigsten Aufgaben zuerst erledigt haben und anschließend eine andere Person diese Prioritätensetzung anzweifelt. Oder wenn Sie bei tatsächlich vorhandener Überlast Ihre Arbeit nicht vollständig schaffen. Oder wenn Sie sich bewusst vor unliebsamen Aufgaben drücken und somit genau das tun, was Sie wollen. Das alles ist keine Prokrastination.
Was ist wirklich Prokrastination
Prokrastination ist eine behandlungsbedürftige psychische Störung, und darum sollte man sich selbst nicht leichtfertig der Aufschieberitis verdächtigen. Der Unterschied zwischen Prokrastination und einer sinnvollen Zeitmanagement-Strategie verschwimmt oft, weil es ja tatsächlich Sinn macht, morgens erst den organisatorischen Kleinkram wegzuarbeiten. Laut Pareto-Prinzip verursachen ja 80% der Aufgaben nur 20% des Aufwands. Erledigen Sie diese zuerst, dann haben Sie hinterher den Kopf frei und die To-do-Liste kurz. Zur Prokrastination wird diese Priorisierung nur dann, wenn die vorhandene Zeit nicht für alles ausreicht und darum letztlich die wichtigen Aufgaben unerledigt bleiben. Zum Zwecke des Risikomanagements habe ich mir darum angewöhnt, die wichtigen und dringenden Aufgaben gleich morgens zu erledigen oder mir morgens nur eine Stunde Zeit für den organisatorischen Kleinkram zu nehmen (bis der Kaffee wirkt). Dann beginne ich mit der echten Arbeit. Damit fange ich diverse Risiken ab wie z.B. dass die Aufgabe länger dauert als erwartet oder dass unerwartetes Dringendes dazwischen kommt.
Auch das sofortige Erledigen von neu hereinkommenden Aufgaben wie die spontane Erstellung eines Angebots oder das Beantworten von E-Mails kann als Zeitmanagement-Strategie Sinn machen, um auf dem Laufenden zu bleiben, kann aber auch eine Prokrastinationsstrategie sein, wenn Sie sich damit vor einer wichtigeren Aufgabe drücken. Darum bewillige ich mir für spontane Ideen maximal eine Stunde pro Tag, und die E-Mails eines Tages bearbeite ich in maximal zwei Stunden. (Der Rest wird auf morgen verschoben.) Schlimm genug: Rechnen wir eine Stunde für Organisatorisches, eine Stunde für Spontanes und zwei Stunden für die E-Mails, bleiben nur noch vier bis sechs Stunden Zeit für diejenige echte Arbeit, die ich mir vorab für heute vorgenommen hatte. Und davon geht noch die Zeit für Besprechungen weg. Ergebnis: nur eine sehr überschaubare Stundenzahl für produktive Arbeit. Diese muss dann auch genau dafür genutzt werden!
Verschiedene Möglichkeiten für Zeitmanagement
Betreibt man kein bewusstes Zeitmanagement, liegt der Verdacht der Prokrastination nahe, wenn man irgendwann feststellt, dass man nur zwei bis vier Stunden täglich „richtig arbeitet“. Und was passierte mit der restlichen Zeit? An die ganzen Kleinigkeiten, die nicht auf der Liste standen, erinnert man sich später kaum noch. Nur wer einen Zeitaufschrieb macht, weiß hinterher sicher, wie viele Stunden er wirklich gearbeitet hat. Ich hatte mich selbst mal im Verdacht zu prokrastinieren, bis ich im Selbstversuch ausprobierte, was geschieht, wenn ich ausschließlich wichtige und dringende Arbeit erledige. Verblüffend rasant sammelten sich nichtdringende Aufgaben an wie Reisekostenabrechnungen, Unterlagenabheften, die Weiterverfolgung innovativer Ideen, noch zu schreibende Artikel ohne Einreichungsfrist – alles Aufgaben, die ich unbedingt irgendwann noch machen wollte oder musste. Innerhalb weniger Tage betrug die Liste dreißig Einträge, und damit fühlte ich mich erst recht als Aufschieberin, obwohl diese Priorisierung genau das Gegenteil davon bewirken sollte. Ich brach das Experiment ab und brauchte zwei Wochen, um diese Liste nebenbei wieder abzuarbeiten. Damit war für mich eindrücklich klar geworden, dass es sich lohnt, mit dem scheinbar unwichtigen Kleinkram auf dem Laufenden zu bleiben, auch wenn er weder dringend noch wichtig ist, sonst versinkt man schnell im Chaos. Letztlich müssen wir damit leben, dass wir jeden Tag nur zu einem geringen Stundenanteil wirklich „echte Arbeit“ machen, da wir die meisten Erledigungen gar nicht als produktiv wahrnehmen.
Ob Sie an Prokrastination leiden, können Sie mit folgendem Test nach Rückert herausfinden: http://lexikon.stangl.eu/wp-content/uploads/Test-Rueckert-Aufschieben.pdf
Aufschieben ist menschlich
Machen Sie sich nicht verrückt: Jeder schiebt mal irgendetwas vor sich her. Finden Sie dann jeweils heraus warum. Bei mir ist der Hauptgrund dafür üblicherweise, dass ich für eine große Aufgabe nicht weiß, welche Tätigkeiten nötig sind und wo ich anfangen soll. Darum verschaffe ich mir immer frühzeitig einen Überblick und erstelle einen Arbeitsplan. Sobald ich mich in die Aufgabe eingedacht habe, ist der Rest Routine. Beispielsweise für die jährliche Einkommens-Steuererklärung dauert es immer ziemlich genau eine Stunde, bis ich mir einen Überblick verschafft habe, welche Unterlagen vorhanden sind und welche fehlen. Anschließend werden täglich ein oder mehrere Belege herausgesucht oder angefordert und so die Liste der fehlenden Dokumente abgearbeitet. Auch das Eintippen der Steuererklärung muss nicht an einem einzigen Tag geschehen. Nach zwei Stunden lässt die Konzentration nach, und das tägliche Zeitbudget für Organisatorisches ist dann ohnehin verbraucht. Trotz oder gerade wegen dieser Gemütlichkeit schaffe ich die Steuererklärung mit minimalem Aufwand in kurzer Zeit und vor allem ohne Schmerzen. Schon zwanzig Minuten Arbeit an der Steuererklärung mindern das schlechte Gewissen. Und nach demselben Prinzip gehen auch größere Projekte leicht von der Hand!
Lesenswert ist auch dieser Artikel, der verschiedene Typen von Prokrastinierern unterscheidet: http://lexikon.stangl.eu/814/prokrastination/ Hier wird als Gegenmaßnahme gegen Prokrastination empfohlen, die Zukunft in Tagen zu denken statt in Monaten. Die weiteren Anti-Prokrastinations-Tipps gehen alle in dieselbe Richtung: Macht Zeitmanagement!